Kulturtourismus: Brücke zwischen Islam und Christentum

Das Titelbild dieses Beitrags scheint auf den ersten Blick eine gängige Szene aus dem Kulturtourismus zu zeigen: Besucher*innen betrachten den Innenraum einer Kirche. Es könnte in der Tat eine solche Szene sein, denn bei der letzten Flash-Eurobarometer-Umfrage zum Thema „Präferenzen der Europäer gegenüber dem Tourismus“ nannte etwas mehr als ein Viertel (26 %) der Befragten die Kultur mit einem klaren Bezug zum Besuch religiöser Stätten als Grund für einen Urlaub[1]. Ist es aber nicht ganz. Dieses Bild hat eine etwas andere Geschichte:

Es entstand an einem neblig-regnerischen Abend Ende November 2019 in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. In den Läden glitzerten bereits die Weihnachtsdekorationen, doch der Weihnachtsmarkt am zentralen Prešernov trg war noch nicht eröffnet, die riesige Weihnachtstanne noch nicht erleuchtet. Hell angestrahlt war jedoch der Eingang zur Kirche Mariä Verkündigung des Franziskanerklosters, deren markante Fassade aus dem 19. Jahrhundert sich zum Platz wendet.

Aus der Kirche klang Musik der Abendmesse, und die Atmosphäre hatte eine weihnachtlich-feierliche Anmutung, getragen draußen durch die hereinbrechende Dunkelheit und die beginnende Stille des Platzes. Dies mag eine Gruppe von vier jungen Leuten bewogen haben, die Stufen zum Kirchenportal hinauf zu steigen und einzutreten. Offensichtlich waren es Besucher*innen der Stadt, denn sie kamen am Ufer der Ljubljanica heran geschlendert und hatten vorher den Blick auf die beleuchtete Burg ausgiebig bewundert.

Die drei jungen Frauen der Gruppe waren verschleiert mit dem Hidschāb, auch ihre teilweise bodenlange Kleidung ließ den Schluss zu, dass es sich um Musliminnen handelte.  Sie standen lange hinter der letzten Bank des Kirchenraums, betrachteten ausgiebig die Fresken und hörten zweifelsfrei konzentriert der Kirchenmusik zu. Sie respektierten die Abendmesse und nahmen Abstand davon, im Kircheninneren herum zu gehen – keineswegs selbstverständlich in Kirchen zu Zeiten der Gottesdienste und Messen, darf man inzwischen gängigen Hinweisschildern an Kirchenportalen glauben. Als sie sich zum Gehen wandten, konnte man an ihren Gesichtern und ihrem Lächeln sehen, dass sie Musik und künstlerische Gestaltung des Kirchenraums ganz offensichtlich genossen hatten.

Warum findet sich diese Begebenheit in einem kulturtouristischen Blog? Weil sie zeigt, wie Kulturerfahrungen Glaubensgrenzen überwinden können und Erfahrungen zulassen, die Menschen zusammen bringen.  Der Kirchenraum ermöglichte den Besucher*innen eine kurze Teilhabe an einer Kultur, die mit ziemlicher Sicherheit nicht ihre eigene war. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird eine positive Erinnerung an eine von warmem Licht, christlicher Kirchenmusik und farbigen Fresken geprägte Atmosphäre haften bleiben – als friedenstiftendes Souvenir, das überdauert.

[1] “Preferences of Europeans towards tourism“, Flash Eurobarometer 432,veröffentlicht März 2016 (basierend auf Daten aus dem Jahr 2015)

Autorin: Karin Drda-Kühn

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